Einführung

Wenn man im Coaching aktiv ist, passiert es früher oder später, dass man auf einen Klienten trifft, der (oder die) nicht richtig assoziieren kann. Anders ausgedrückt: der Mensch hat Probleme ins Gefühl zu gehen. Da man in der Veränderungsarbeit allerdings Gefühle nur mit Gefühlen verändern kann, endet manches Coaching an dieser Stelle.

Ich möchte hier eine Möglichkeit aufzeigen, wie man mit Hilfe der Mental Space Psychology die Situation verbessern kann.

 

Sergei kann es nicht

Vor einiger Zeit hatte ich einen Klienten mit dem Namen Sergei. Ein Coaching Kollege war mit seiner Arbeit gescheitert, da Sergei sich nicht richtig in Situationen hinein assoziieren und entsprechend Gefühle produzieren konnte. Sergei nahm daraufhin Kontakt mit mir auf und bat mich ihm in seiner Problemsituation zu helfen.

Ich nahm das Mandat an, wir trafen uns und begannen miteinander an seinen Problemen zu arbeiten.

Schnell stellte sich heraus, dass Sergei beim Versuch sich in seine Frau beziehungsweise in seine Tochter hineinzuversetzen mit Widerständen zu kämpfen hatte. Es gelang ihm nicht richtig. Nun könnte man sagen: Na ja, Sergei ist halt ein verkopfter Analytiker. Da kann man eben nichts machen.

Warum aber sollte man das „nicht assoziieren“ nun nicht als Verhalten definieren. Und wie man mit Verhalten umgeht, das haben wir doch gelernt – oder? Okay, man sollte dabei schon sorgfältig die Methoden wählen.

Zurück zu Sergei.

Ich unterbrach die Arbeit an der Familie und ging mit Sergei an eine andere Stelle des Raumes. Ich hatte früher bereits einmal mit Sergei gearbeitet und wusste daher etwas von seiner Historie. Das machte mir die Überleitung leichter.

 

Investigation

Ich sagte also zu Sergei: „Lieber Sergei! Ich weiß von deiner Vergangenheit, wie du damals beim russischen Militär warst, und als du im Ausland stationiert warst, bist du in den Westen abgehauen. Von da an lauerte für eine längere Zeit an jedem Abend der Tod an deinem Bett. Du hattest Angst, dass sie dich holen. Korrekt? Das sind jede Menge schlechte Gefühle, und es ist verständlich, wenn du gelernt hast diesen schlechten Gefühlen aus dem Weg zu gehen. Es sind viele Jahre vergangen seit dieser Zeit, Diese Bedrohung gibt es nicht mehr. Deine Strategie, Gefühle zu vermeiden existiert allerdings immer noch.
Könnte das so sein?“

Sergei bejahte. Ich sagte: „Lass uns darauf einmal einen genaueren Blick werfen.“

„Nun schließe einmal die Augen und sage mir… Wenn all das, was dich hindert in ein Gefühl zu gehen, ein Getränk wäre, welches Getränk wäre das?“

Sergei wählte einen scharfen Wodka. Ich bat ihn, die Augen geschlossen zu halten und sagte: „Wenn dieser scharfe Wodka im Raum wäre, wo wäre dieser Wodka ’richtig’? Wäre eher vor dir … oder eher hinter dir … wäre er eher rechts oder eher links?“

Der Wodka erschien direkt vor den Augen von Sergei, etwa einen halben Meter entfernt. „Wenn der Wodka Augen hätte, in welche Richtung schaut er – und welches Gefühl hast Du, wenn Du ihn so wahr­nimmst?“ Der Wodka starrte direkt in seine Augen und er löste in Sergei ein schlechtes Gefühl in der Magengegend aus. Massiv und pulsierend!

Nun hatte ich eine Materialisierung, die mental mit dem „nicht assoziieren können“ verbunden war und mit der ich wunderbar arbeiten konnte.

Als nächstes brauchte ich eine Referenz-Materialisierung. Ich sagte zu Sergei: „Gibt es einen Menschen oder eine Tätigkeit, die Dir vollkommen egal ist?“ Er musste das erst einmal verstehen, grübelte und sagte dann: „Fußnägel schneiden!“ Ich nahm diese Antwort mit amüsierter Verwunderung zur Kenntnis. Nun fragte ich, welches Symbol oder welcher Gegenstand repräsentiert “Fußnägel schneiden”?

Er antwortete: “Ein Misthaufen”.

Auf meine Frage, wo im Raum der Misthaufen sei, materialisierte sich dieser links hinter ihm, etwa 5 Meter entfernt.

 

Intervention

Nach Lucas Derks kann man derartige Materialisierungen (er nennt diese Personifizierungen) auf zwei Arten verändern:

  1. Ich verändere den Ort und / oder die Qualität der Repräsentation. Anders ausgedrückt, ich verändere die Submodalitäten
  2. Ich gebe Gefühle in Form von Ressourcen in die Materialisierung

Ich entschied mich in diesem Fall für die erste Variante, da er ja nun mal ein Problem mit dem „ins Gefühl gehen“ hatte.

“Sergei, kannst Du den Wodka vor Dir in Richtung Misthaufen bewegen und ihn in dessen Nähe bringen?”

Er kniff ein wenig die Augen zusammen, konzentrierte sich sichtbar und der Kopf bewegte sich während seiner Anstrengung leicht nach links. Schließlich nickte er.

„Hat das funktioniert?“

„Ja!“

„Was hat sich verändert? Wie fühlt sich der Wodka nun für Dich an?“

„Der Wodka belastet mich nun nicht mehr so. Ich fühle mich leichter und befreiter. Am Brustkorb nicht mehr so eingeengt!“

„Und ist das gut für Dich?“

„Ja! Unbedingt!“

Ich bat ihn nun, das Schwenken des Wodkas von vorne nach hinten links fünf Mal zu wiederholen. Anschließend sollte er prüfen, ob vor ihm noch irgendwelche Reste dieses Getränks oder eines Behältnisses vorhanden sind. Er sagte, dass da noch so ein diffuser Schatten sei. Darauf wies ich ihn an, mit einem gedachten Tuch diese Reste wegzuputzen bis alles weg ist. Sergei führte entsprechende Bewegungen aus und nickte dann sichtlich zufrieden.

Als ich ihn fragte, wo der Wodka nun sei, antwortete er mit einem Grinsen: „Ich habe ihn im Misthaufen versenkt!“

Sergei hatte das „nicht assoziieren können“ also nicht nur an eine Stelle seines sozialen Panoramas gebracht, die weniger Einfluss auf sein Befinden ausstrahlt, sondern mit dem absenken in die Tiefe mit hoher Wahrscheinlichkeit den Einfluss auf sich vermindert.

 

Test

Ich prüfte nun die Ökologie und Nachhaltigkeit des Ergebnisses, indem ich Sergei zunächst in den Wodka und anschließend in sich selbst assoziieren und dabei fühlen ließ, ob der aktuelle Zustand für beide okay ist.

Das war für ihn kein Problem und er bestätigte, dass sich Wodka und Sergei nun wohl fühlten. Dabei fiel Sergei gar nicht auf, dass er ohne zu zögern zur Stelle des Wodkas trat und in diesen hineinassoziierte. Ich checkte nun noch die Beobachterposition und zum Schluss den Blick auf das gesamte System inklusive damit verbundener wichtiger Menschen. Auch diese beiden Wahrnehmungspositionen waren für Sergei okay!

Demnach ist nach dem AQAL-Modell von Ken Wilber (All Quadrants All Levels) ein nach­haltiger Zustand erreicht.

Ich bedankte mich bei Sergei für seine Kooperation und sein Vertrauen mir gegenüber. Wir machten eine kurze Pause und kehrten zur ursprünglichen Coaching Aufgabe, also der Arbeit mit den Familienmitgliedern zurück. Das Assoziieren funktionierte nun und wir konnten sein Problem auflösen!

 


Verwendete Methoden:

  1. Da Sergei nicht richtig assoziieren konnte, verzichtete ich auf Methoden, die ihn glauben lassen, er müsse in einen Menschen „einsteigen“. Daher die Betrachtung von Wodka und Misthaufen von außen unter Verwendung der Funktionalität des sozialen Panoramas nach Lucas Derks.
  2. Auch das Bewegen des personifizierten Wodkas in Richtung Misthaufen kann aus der Beobachterposition erfolgen und verändert dennoch das mit dem Wodka verbundene Gefühl. Die Nutzung der Eigenheiten des sozialen Panoramas ist für den Klienten „normal“ und erzeugen keinen Widerstand.
  3. Das Assoziieren in den Wodka, nachdem er die Qualität des Misthaufens angenommen hat, ist bereits ein Test zur Überprüfung der Veränderung
  4. Prüfung der Ökologie und Nachhaltigkeit nach dem AQAL-Modell Ken Wilbers, indem alle Perspektiven eingenommen und überprüft werden. Aus allen Sichten muss das Ergebnis Ok und ohne schlechtes Gefühl sein.

 


Format MDE (Mir Doch Egal)
Vorgehen nach Rainer Wawrzik / Lucas Derks

  1. Denke an etwas, ein Mensch oder eine Tätigkeit, der/die Dir vollkommen egal ist.
  2.  Wenn es ein Symbol gäbe, das dieses repräsentiert, welches wäre das?
  3.  Wo im Raum ist das Symbol?
  4.  Untersuche den Ort / die Repräsentation des „MDE“
  5.  Dinge, die belasten, können dann zu diesem Ort und in die Qualität des „MDE“ gebracht werden und beispielsweise direkt daneben positioniert werden. Dieses sorgt für Entlastung.
  6.  Öko-Check